Zur Erinnerung
Prof. em. Dr. habil.
Paul Grimm


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AUSGRABUNGEN UND FUNDE

Nachrichtenblatt der Archäologie

Band 39    1994    Heft 4   Seite 161-163


Paul Grimm
1907 - 1993

Von Werner Coblenz, Dresden

Am 19. November 1993 verstarb in Berlin Professor em. Dr. phil. habil. Paul Grimm im 87. Lebensjahr. Mit ihm verliert die mittel- und ostdeutsche prähistorische Forschung den Nestor der mittelalterlichen Ausgrabungswissenschaft und einen der profiliertesten Fachvertreter besonders auch für die Jungsteinzeit, einen Förderer aller prähistorischen Belange, wahren Kollegen, dazu Freund, Lehrer und Vorbild.

Paul Grimm wurde am 18. August 1907 in Torgau an der Elbe geboren und besuchte dort zunächst die Volksschule, dann die Vorschule und das Reformrealgymnasium zu Aschersleben bis zum Abitur 1925. Daraufhin studierte er in Halle die Fächer Vorgeschichte, Geschichte, Geographie und Geologie und schloß im Juni 1929 mit einer Dissertation über „Die vor- und frühgeschichtliche Besiedlung des Unterharzes und seines Vorlandes auf Grund der Bodenfunde” seine Ausbildung ab. Seit Juli 1929 wirkte er zunächst als wissenschaftlicher Assistent, ab 1935 als Kustos und Stellvertreter des Direktors am Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle. Von dort aus betreute er in erster Linie die kulturgeschichtlichen Bodenaltertümer. Nach erfolgreicher Habilitation über „Die Salzmünder Kultur in Mitteldeutschland” wurde er 1939 zum Dozenten für Vor- und Frühgeschichte an der Universität Halle ernannt, aber bald zum Wehrdienst einberufen. 1942 erfolgte auf ministeriellen Befehl eine elfmonatige wissenschaftliche Tätigkeit in Kiew zur Erhaltung der durch die Kriegshandlungen gefährdeten vorgeschichtlichen Sammlungen und Institute.

Nach Kriegsschluß wurde er von Nachbarn böswillig und nachweislich wahrheitswidrig verdächtigt sowie angezeigt und kam ohne Verhör und Verhandlung am 26. Februar 1946 in das Internierungslager Buchenwald bei Weimar, aus dem er am 3. Februar 1950 entlassen wurde.

Bald fand er als freiberuflicher Wissenschaftler befristet Arbeit beim Landesmusem für Vorgeschichte in Halle, Stadtmuseum Bitterfeld und Institut für Vor- und Frühgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Dorthin wurde er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am 1. Januar 1951 berufen und war seit dem 22. November 1957 als Stellvertreter des Direktors tätig. Ab Herbstsemester 1952 erfüllte er nebenamtlich einen Lehrauftrag an der Humboldt-Universität Berlin, wo er am 4. Juni 1955 zum Professor mit Lehrauftrag für Vor- und Frühgeschichte ernannt wurde. Im September 1971 wurde die Berufung zum Honorarprofessor für slawische und frühdeutsche Archäologie abgeändert. Nach Überschreitung der Altersgrenze schied Paul Grimm aus allen Ämtern aus und führte mit Unterstützung des Berliner Akademieinstituts die Ausgrabung der Pfalz Tilleda am Kyffhäuser bis zu deren völligen Freilegung im Jahre 1979 weiter, um sich dann mit einer abschließenden Bearbeitung der Grabungsergebnisse zu beschäftigen.

Zu Anfang seiner Tätigkeit in Halle befaßte sich Paul Grimm schon aufgrund seiner bodendenkmalpflegerischen Verpflichtungen mit allen ur- und frühgeschichtlichen Zeitstufen. Weit über die Grenzen seines damaligen Wirkungsbereiches war er als ruheloser Retter und Dokumentator aller Zeugen der Vergangenheit allseits bekannt, und das weitverbreitete Werbeplakat in Behörden und an Baustellen zeigt ihn mit allen Grabungsutensilien bepackt und eiligen Schrittes mit wenigen markanten Strichen als Mahner für die Rettung wertvoller Kulturgüter. Seiner Forderung nach der damals in Deutschland noch nicht praktizierten Luftbildarchäologie (1939) konnte wegen des bald beginnenden Krieges und im Osten bis zum Ende der 80er Jahre aus „Sicherheitsgründen” leider noch nicht voll entsprochen werden.

Paul Grimm hat wesentliche Vorarbeit für die Erforschung und Gliederung der mitteldeutschen Jungsteinzeit (zuletzt 1940) geleistet und damit das bis heute fruchtbar wirkende neolithische Zentrum in Halle mit vorbereitet. Auch seine Studien zur mittelalterlichen Keramik, damals noch stiefmütterlich behandelt, begannen in Halle und standen gleichwertig neben einer großzügigen Landesaufnahme und der Burgenforschung.

Auch in der Berliner Zeit standen drei Forschungsschwerpunkte im Vordergrund: Das Harzgebiet, die Arbeit am Burgwall-Corpus und die noch immer relativ junge Mittelalterforschung unter Hervorhebung der Pfalzenproblematik. 1958 erschienen „Die vor- und frühgeschichtlichen Burgwälle der Bezirke Halle und Magdeburg”, und bald begann die Burgwallaufnahme in Thüringen in Zusammenarbeit mit W. Timpel, mit dem zusammen bereits Ergebnisse über die Kreise Worbis, Mühlhausen, Nordhausen und Weimar (1966–1975) zum Druck kamen. In der Wüstungsforschung hatte schon lange vorher die Entdeckung und Freilegung von Hohenrode (1939) berechtigtes Aufsehen erregt.

Große Verdienste erwarb sich Paul Grimm bei der Organisation internationaler Tagungen der Akademie zur mittelalterlichen Keramik in Berlin mit Teilnehmern aus dem Westen Deutschlands, Skandinaviens und der östlichen sowie südöstlichen Nachbarn (1955), zur großen Pfalzenexkursion (1960) und zur Arbeitstagung Aufnahme und Erforschung vor- und frühgeschichtlicher Burgen (1962).

Im Mittelpunkt der Arbeiten standen bereits seit 1958 die Ausgrabungen der Pfalz Tilleda, die lediglich durch Notgrabungen aus der Vorkriegszeit archäologisch bekannt war. Jetzt erfolgte die komplexe Aufdeckung der einzigen deutschen Königspfalz, die nicht überbaut und deren Rekonstruktion deshalb möglich war. Zwei umfangreiche Abschlußberichte über die Hauptburg, die Vorburg und die Zusammenfassung mit wichtigen Aufschlüssen über Geschichte und Ökonomie der Pfalz erschienen 1968 und 1990. Sie dokumentieren den Höhepunkt der historischen Pfalzenforschung. Die Energie und Hingabe an das Werk und der ungeheure Fleiß können nur dann richtig eingeschätzt werden, wenn man bedenkt, daß Paul Grimm diese Arbeit noch in vielen Jahren nach schwerer Krankheit und bleibender Schwächung als 80jähriger vollendete.

Große Verdienste erwarb er sich als verantwortlicher Redakteur unserer Zeitschrift „Ausgrabungen und Funde” seit deren Erscheinen bis nach Überschreiten der Altersgrenze.

In Anerkennung seiner vorbildlichen Leistungen und großen Verdienste wurde er nacheinander zum Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts, dann zum auswärtigen Mitglied der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft - der heutigen Gesellschaft - für Ur- und Frühgeschichte, schließlich zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Göttingen und zuletzt zum ersten Ehrenmitglied des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung e.V. gewählt.

Die Arbeit und die Sorge für seine große Familie waren ihm Lebensinhalt und Verpflichtung, aber auch Freude. Den Fachkollegen und dem Nachwuchs galt er stets als echtes Vorbild in Einsatz und Leistung, in ansteckender Begeisterung und in der echten Suche nach historischer Wahrheit. Sein Wissen um die Fakten und Probleme vermittelte er geschickt, übte starken erzieherischen Einfluß aus und übertrug weithin seine Liebe zu Beruf und Land. In Dankbarkeit und Verehrung hingen Freunde, Schüler und Kollegen an ihm, der sich durch Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft, Feinfühligkeit und hohe Achtung vor den Menschen auszeichnete; das auch im „Feindesland”, als er sich während seines Dienstauftrages am Kiewer Institut und Museum für die dortigen Mitarbeiter stets stark einsetzte und für seine echt humanistische Handlungsweise von den ukrainischen Mitarbeitern auch noch nach Kriegs-ende vielfache Zeichen des Dankes erfuhr. Sein nachahmenswertes Pflichtgefühl und sein unbestechlicher Charakter haben niemals auch nur die geringsten Vorteile auf Kosten der Lauterkeit gesucht.

Mit Paul Grimm ging ein Freund und Kollege von uns, dessen Andenken lange fortleben wird und alle Bleibenden und Folgenden verpflichtet.

Werner Coblenz, Dresden