Lebenslauf Paul Grimm
Paul Hugo Grimm wurde am 18.08.1907 in Torgau/Elbe als Sohn des
Kasseninspektors Oskar Grimm und seiner Ehefrau Selma Grimm geboren.
Schulbildung:
Er besuchte zunächst die Volksschule in Torgau und anschließend die Vorschule und
das Reformrealgymnasium zu Aschersleben.
Im Stephaneum Aschersleben bestand er 1925 das Abitur unter Befreiung von der mündlichen Prüfung wegen guter Leistungen
(Entlassung der Abiturienten).
Während seiner Schulzeit machte er mit dem Wandervogel (1922-1926 im Jugendbund Adler und Falke) sehr viele Fahrradausflüge,
insbesondere zu historischen Stätten, bei denen in ihm der Wunsch nach einem geschichtswissenschaftlichen Beruf geweckt wurde.
An die vielen Ausflüge mit dem Fahrrad erinnerte er sich auch später immer wieder gerne und erzählte seinen Kindern davon.
Studium:
Anschließend an das Abitur erfolgte ein Universitätsstudium in Halle auf den Gebieten der Vorgeschichte,
Geschichte, Geographie und Geologie.
Am 13.03.1931 erwarb er den Titel eines
Doktors der Philosophie mit dem Prädikat "sehr gut"
auf Grund einer als "ausgezeichnet" beurteilten Dissertation über "Die vor- und frühgeschichtliche Besiedlung des Unterharzes
und seines Vorlandes auf Grund der Bodenfunde".
Bei seinem Studium wurde er durch Professor Hans Hahne beeinflußt, der zwar die Überlegenheit
der germanischen Rasse propagierte und Paul Grimm zum Eintritt in die NSDAP bewegte,
aber andererseits Paul Grimm sehr viele Fertigkeiten in der praktischen Durchführung und Auswertung von
Ausgrabungen vermittelte.
Berufsweg bis 1945:
Seit 1927 nahm er an Grabungen Hans Hahnes teil. Daraufhin wurde er am 01.07.1929 als wissenschaftlicher Assistent
an das jetzige Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle berufen.
Am 01.06.1935 wurde Paul Grimm im gleichen Museum zum
Kustos und Stellvertreter des Direktors ernannt.
Zur gleichen Zeit wurde er vom Ministerium zum stellvertretenden
Vertrauensmann
für Kulturgeschichtliche Bodenaltertümer eingesetzt.
Am 24.02.1939 habilitierte Paul Grimm auf Grund einer Arbeit über "Die Salzmünder Kultur in Mitteldeutschland"
und wurde am 16.08.1939 zum Dozenten
für Vor- und Frühgeschichte an der Universität Halle ernannt,
wo er bis zu seiner Einberufung zum Wehrdienst neben seiner Museumstätigkeit noch
drei Semester Vorlesungen und Übungen abhielt.
Nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst wurde Paul Grimm im Januar 1942 vom Ministeriums für die
besetzten Ostgebiete (Zivilverwaltung der Ukraine)
angestellt und erhielt einen
Auftrag
zur Feststellung, Sicherung und Erforschung der vor- und
frühgeschichtlichen Funde.
Über seine Zugehörigkeit zur NSDAP wurde er vom Sonderstab für Vorgeschichte im ERR (Organ der NSDAP und
Bestandteil der rückwärtigen Dienste der Wehrmacht)
in den Personallisten des ERR mit "gilt als kommandiert" geführt.
Seine Aufgabe in Kiew war die Erhaltung der durch Kriegshandlungen gefährdeten vorgeschichtlichen Sammlungen
und Institute, was ihm zusammen mit den von ihm angestellten ukrainischen Mitarbeitern
unter schwierigsten Bedingungen gelang. Bei der Auswahl der Mitarbeiter hielt sich Paul Grimm
nicht an die Vorgabe, nur „Volksdeutsche“ einzustellen. So wurden von ihm die ehemaligen
Mitarbeiter des Instituts für Archäologie, sowie des Historischen
Museums ohne jegliche Ausnahme eingestellt.
Unter den Mitarbeitern fanden unter anderem eine Teilnehmerin am Bürgerkrieg und Rotarmistin,
ein aus der Gefangenschaft geflohenes Mitglied der kommunistischen Partei, ferner der
Sekretär der Komsomolorganisation des Instituts für Archäologie ihren Unterschlupf.
Obwohl nicht alle erforderlichen Papiere dieser Personen vom Standpunkt der faschistischen Behörden
aus richtig ausgefüllt waren, sah Paul Grimm davon ab, sie mit den übergeordneten Stellen
zu überprüfen und nahm die ganze Verantwortung auf sich, siehe
Mitarbeiterbrief1987.
Paul Grimm gelang, auch durch sein besonderes Verhältnis zu seinen ukrainischen Mitarbeitern, viele
gefährdete Fundmaterialien insbesondere aus dem Lawra-Kloster wieder in einem Museum unterzubringen.
Während der Zeit der Leitung des "Landesmuseums für Vor- und Frühgeschichte in der Ukraine" durch
Paul Grimm wurde die Zuständigkeit für das Museum vom
Sonderstab Vorgeschichte auf die Zivilverwaltung übertragen, siehe
Anhang V Seite 18, in "Schloß
Höchstädt" von Reinhard H. Seitz, wodurch u.a.
mehr Sicherheit, ein höherer Etat und mehr Mitarbeiter möglich wurden.
Die Bestände des Landesmuseums für Vor- und Frühgeschichte in der Ukraine wurden vor dem
Rückzug der Wehrmacht Ende 1943 nicht in eine Bergungsstätte verlagert,
da sie nicht mehr der Zuständigkeit des Sonderstabs Vorgeschichte unterstanden.
Siehe auch Darstellung in der ukrainischen Literatur
Wochenspiegel 34-2000.
Im Juli 1942 wurde die UK-Stellung Paul Grimms aufgehoben und er wieder zur Wehrmacht einberufen.
Nach einem erfolglosen Einspruch durch den Reichskommissar für die Ukraine mußte er im Dezember 1942
wieder seinen Wehrdienst aufnehmen.
Ihren großen Kummer und ihre Sorge über das plötzliche Verschwinden von Paul Grimm brachten seine
ukrainischen Mitarbeiter sehr deutlich in Briefen an seine Frau zum Ausdruck, zum Beispiel:
Mitarbeiterbrief vom 05.12.1942 und
Mitarbeiterbrief vom 16.12.1942.
Nach seiner Entlassung
aus der Wehrmacht im Dezember 1944 und der Einstellung des Lehrbetriebs an der
Universität Halle mußte sich Paul Grimm eine Arbeitsstelle suchen, die ihm die
Versorgung seiner Familie mit inzwischen 5 Kindern sicherte und ihn vor einer
Verpflichtung zu Arbeitsdienst, Volkssturm oder ähnlichem bewahrte.
Deshalb begann er am 10. Januar 1945 als Angestellter des
Ministeriums für die besetzten Ostgebiete (Zivilverwaltung der Ukraine) eine Tätigkeit
in der Bergungsstätte Schloß Höchstädt, wohin u.a. Kulturgüter
von Museen aus der Ukraine vor dem Rückzug der deutschen Truppen verbracht worden waren. Er war dort wissenschaftlicher
Mitarbeiter des dorthin verlegten Instituts für Vor- und Frühgeschichte beim Reichskommissar für die Ukraine.
Dienstausweis.
Zur Sicherung der eingelagerten Bestände vor Verlust oder Beschädigung durch Plünderer blieb Paul Grimm
bis zum Eintreffen der Amerikaner in Höchstädt.
Von den beiden Leitern der Bergungsstätte (Angehörige der rückwärtigen Dienste der Wehrmacht)
wurde er vor deren Abreise am 22.4.1945 noch zum
Leiter der Bergungsstätte ab 23.4.1945 ernannt, siehe
Leiter der Bergungsstätte,
also direkt vor dem Eintreffen der Amerikaner am 23.04.1945.
Am 2.5.1945 übergab Paul Grimm die Bergungsstätte an den amerikanischen Regimentsstab in Höchstädt und übergab eine
Ausfertigung des Grundrisses des Schlosses mit Eintragung der Bestände und eine Abschrift
der Bestandslisten.
Anfang Juni 1945 verzog Paul Grimm wieder nach Halle/Saale und mußte am 21.07.1945
die wieder aufgenommene Arbeit im Museum in Halle beenden,
Entlassung
wegen Mitgliedschaft in der NSDAP.
Familie:
Am 06.10.1934 heiratete er Charlotte von Jeinsen und bekam in dieser Ehe fünf Kinder.
Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau schloß er 1982 mit Ursula Meyer geb. Fröhlich eine zweite Ehe.
Gesellschaftliche Entwicklung:
Vor 1933 gehörte Paul Grimm keiner Partei an. Im Februar 1933 trat er unter dem Einfluss
von Professor Hahne der NSDAP bei und wurde Gauwart.
Von 1934 bis Ende 1943 war Paul Grimm Mitglied des Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte
(Mitglied des Reichsbund).
Nachdem er immer mehr feststellte, dass sich die NSDAP von den Zielen, die er
während seines Studiums bei Prof. Hahne kennengelernt hatte, immer weiter entfernte,
trat er von dieser Funktion 1934 zurück und führte keine aktive politische Tätigkeit mehr aus.
Diese Differenz zwischen den ihm vermittelten Zielen und der Realität führte auch dazu,
das er nach einer Beschwerde über das Verhalten von Teilen der deutschen Besatzung
ihm die Fortsetzung seiner Arbeit an dem Museum für Vorgeschichte in Kiew untersagt wurde
und er wieder seinen Wehrdienst fortsetzen mußte, wo diese Differenz zu schweren
Nervenproblemen führten.
Im Oktober 1945 wurde er Mitglied des FDGB. Außerdem trat er 1950 in den Kulturbund
zur demokratischen Erneuerung Deutschlands ein. Hier hat er sich besonders im Rahmen
der Natur- und Heimatfreunde für die Belange der Ur- und Frühgeschichte eingesetzt.
Er war auch Leiter der Fachgruppe und des Fachausschusses Ur- und Frühgeschichte in
Groß-Berlin und Mitglied des Redaktionsbeirates der Zeitschrift "Natur und Heimat"
für Urgeschichte und Bodendenkmalpflege.
Wegen Arbeitsüberlastung legte er nach einigen Jahren diese Ämter nieder,
um jüngeren Kräften Platz zu machen. In der DDR wurde Paul Grimm nicht Mitglied der
SED und wurde wegen des internationalen Ansehens der Ausgrabung der Pfalz Tilleda
nicht irgendwelchen parteipolitischen Zwängen unterworfen. Die SED-Führung beschränkte
sich auf dem Gebiet der prähistorischen Forschung auf die Besetzung von Direktorenposten.
So war hier der Anteil von Parteimitgliedern niedriger als im Durchschnitt.
Publizistische Tätigkeit:
Während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit am
Landesmuseum in Halle und später an der Akademie der
Wissenschaften zu Berlin hat Paul Grimm die Ergebnisse seiner
Forschungen in einer Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten und
Aufsätze (vergl.
Schriftenverzeichnis
) niedergelegt. Seine
Hauptarbeitsgebiete waren Burgenforschung, vorgeschichtliche
Siedlungsgeographie und Kulturgeschichte der jüngeren
Steinzeit sowie des frühen Mittelalters.
Wehrdienst:
Paul Grimm wurde am 22.10.1940 zur Wehrmacht eingezogen; auf Grund schlechter Gesundheit
allerdings nicht zum Frontdienst, sondern zum Dienst in Schreibstuben von Dienststellen
der Wehrmacht in Eylau und Glauchau.
Am 6.Juni 1942 wurde Paul Grimm für eine wissenschaftliche Arbeit in Kiew UK
(Unabkömmlichkeitsstellung) gestellt und als Gefreiter
entlassen.
Im Juli 1942 wurde die UK-Stellung Paul Grimms aufgehoben und er wieder zur Wehrmacht einberufen.
Nach einem erfolglosen Einspruch durch den Reichskommissar für die Ukraine mußte er am 14.Dezember 1942
wieder seinen Wehrdienst aufnehmen. Seinen Dienst absolvierte er:
- Dezember 1942 bis Ende Januar 1943 in Glauchau in Sachsen,
- Februar 1943 bis Anfang Mai 1943 in Plauen im Vogtland, Kirchbachkaserne,
- ab 10.05. in Ettlingen/Baden,
- ab 11.05. bis Ende Mai 1943 in Glauchau in Sachsen (1. Stammkompanie, Auekaserne),
- ab Anfang Juni bis 07. Oktober in der Unteroffizierschule in Ettlingen/Baden,
- ab Mitte Oktober 1943 bis zu seiner Entlassung aus der Wehrmacht (aus gesundheitlichen Gründen)
Ende Dezember in der Unteroffizierschule in Leslau im Warthegau.
Im Dezember 1944 wurde er als Obergefreiter für wissenschaftliche Aufgaben aus gesundheitlichen Gründen entlassen.
Siehe
Truppenärztliche
Bescheinigung vom 04.12.1944.pdf und
Entlassungsschein der
Wehrmacht vom 5.12.1945.
Internierung:
Im Februar 1946 wurde Paul Grimm von Nachbarn
böswillig und nachweislich wahrheitswidrig
verdächtigt sowie angezeigt und wurde am 26. Februar 1946 ohne Verhör und
Verhandlung verhaftet und kam im Dezember 1946 aus dem Speziallager Torgau in
das sowjetische Speziallager 2 (ehem. KZ Buchenwald) bei Weimar,
aus dem er am 03.02.1950 entlassen wurde.
Siehe
Internierung.
Berufliche Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg:
Im Jahre 1945 wurde Paul Grimm aus dem Museum in Halle entlassen und war bis zu seiner
Internierung Hilfskraft in einem Vermessungsbüro.
Nach seiner Internierung hat Paul Grimm 1950 zunächst als freiberuflicher Mitarbeiter
Arbeitsaufträge für das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle, das
Stadtmuseum in
Bitterfeld
und das Institut für Vor- und Frühgeschichte der
Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin ausgeführt.
Ab 1.Januar 1951 wurde er an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
in der Kommission für Vor- und Frühgeschichte (dem späteren Institut für Ur- und Frühgeschichte)
als wissenschaftlicher
Mitarbeiter
angestellt.
Die Frühmittelalterliche Archäologie, Burgen- und Pfalzenforschung wurden zum Inhalt
seiner 2. Schaffensperiode.
Zum Herbstsemester 1952 erhielt er nebenamtlich einen Lehrauftrag für
Vorlesungen und Übungen für die Fachrichtung Urgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin
und am 1.9.1955 wurde Paul Grimm zum Professor mit Lehrauftrag für das Fach Ur- und Frühgeschichte an der
Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin ernannt (
Ernennung zum Professor).
Am 10.09.1971 wurde die Berufung zum Honorarprofessor für slawische und frühdeutsche Archäologie abgeändert.
Am 9. Dezember 1955 ernannte das Deutsche Archäologische Institut Paul Grimm zum
korrespondierenden Mitglied und am 9. Dezember 1961 zum ordentlichen Mitglied.
1957 wurde er Stellvertreter des Direktors des Instituts für Vor- und Frühgeschichte
bis dieses Institut 1969 in den Verband des Zentralinstituts für Alte
Geschichte und Archäologie einbezogen wurde
Ernennung zum
Stellvertreter des Direktors.
Höhepunkte dieser arbeitsreichen Jahre war die Aufnahme der ur- und frühgeschichtlichen
Burgwälle in den Bezirken Halle und Magdeburg und eine Veröffentlichung darüber,
die Arbeiten an einem entsprechenden Werk für die 3 thüringischen Bezirke und vor allem
seit 1958 die erfolgreichen, national wie international gleichermaßen beachteten,
anerkannten und gewürdigten Ausgrabungen in der Pfalz Tilleda am Fuße des Kyffhäusers.
Auch der Ausbildung fachlicher Nachwuchskräfte galt stets seine Aufmerksamkeit.
Ihr hat er sich sowohl praktisch auf seinen Ausgrabungen als auch theoretisch gewidmet.
Nach seinem 65. Geburtstag am 18.08.1972 ist er zum 01.09.1972 aus allen Ämtern und
Ehrenämtern ausgeschieden
(Aufhebungsvertrag)
und hat seitdem, mit Unterstützung des inzwischen zum Bereich
für Ur-und Frühgeschichte des neugebildeten Zentralinstituts für Alte Geschichte
und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR, die Ausgrabung der Pfalz
Tilleda gewidmet.
Am 19. November 1993 verstarb Paul Grimm in Berlin.
In Tilleda wurde Paul Grimm am 28. Juni 2009 von den dankbaren Einwohnern durch
Umbenennung einer Durchgangsstraße in Professor-Paul-Grimm-Straße geehrt.
|